
Das Bild des Folteropfers Adam Lauks im Bereich A ( ANTON ) des Haus 6 des Ausländervollzuges im Zuchthaus Berlin Rummelsburg liegt in der Gedenkstätte Berlin Hohenschönhausen als Teil meiner Zeitzeugenunterlagen gemacht vom Fotografen des Landesarchiv Berlin – Thomas Platow
In der DDR kämpften sie für Freiheit und Menschenrechte. Jetzt sind einige der früheren Dissidenten zu den Rechten übergelaufen. Unser Autor hat sie besucht.
Führt der Leugner von Tigerkäfigen der STASI Merkwel, Lederwer und Grütters hier in einen Tigerkäfig oder in ein Freistundenhof?!?
Von Konstantin von Hammerstein
„Als die Stasi Siegmar Faust 1972 nach sieben Monaten Untersuchungshaft in die Psychi-atrie nach Waldheim einlieferte, war er neidisch. Einmal am Tag kamen die Wärter in ihrem weißen Kittel in seine Achtbettenzelle, die Insassen mussten eine Ladung bunter Pillen aus einem Glasröhrchen schlucken, nur Faust ging leer aus.
Dabei hätte er gern Widerstand geleistet. Und die Medikamente heimlich wieder rausge-würgt, wie seine beiden Mithäftlinge. Oder der Gangster in seiner Zelle, der mit Schaum vor dem Mund so gut den Epileptiker spielte, dass ihm die Aufpasser erst spät auf die Schliche kamen.“ – Man hatte die Medikamente auch ablehnen können !?*
Bei seinen Verhören hatte Faust versucht, die Stasi-Vernehmer mit ihren eigenen Waffen zu schlagen, und sie mit den Parolen traktiert, die er als Jungmarxist aus der Schule kannte. Zur Strafe steckten sie ihn unbefristet in die Psychiatrie. Er hatte Glück. Wenige Wochen später ordnete der neue SED-Chef Erich Honeckereine landesweite Amnestie an, und man ließ ihn laufen. Erst zwei Jahre später wurde er wieder verhaftet.
Als junger Mann kämpfte Faust für Meinungsfreiheit und Menschenrechte. In der DDR war er damit ein Andersdenkender, ein Dissident. Jetzt ist er 73, seine Peiniger sind in Rente oder lange tot, doch Faust kämpft immer noch.
Er kann nicht anders, es wäre gegen seine Natur.
Warum ist seine Haftzeit in Cottbus, im Tigerkäfig ausgeblendet?
Bei der Bundestagswahl hat er die AfD gewählt. Sein Freund Wolf Biermann findet das „zum Kotzen“, auch wenn er dem alten Weggefährten im SPIEGEL bescheinigte, er sei „keine Kanaille, sondern ein wunderbarer, tapferer Kämpfer“.
Wolf Biermann weiß gar nicht was der Kampf gegen die STASI heißt und somit auch nicht was Kämpfer bedeutet.*
Beim letzten Konzert in Cotbusser Menschenrechtszentrum saß ich neben der Gattin des Sigmar Faust. Nach dem Konzert gab es ein Small Talk. Ich zeigte ihm dieses Bild eines Tigerkäfigs. „Weißt Du was das ist?“ „Nein, habe noch nie gesehen“ antwortete Wolf Biermann und schaute sich das Bild an. Siegmar Faust stand daneben ( wir grüßen uns nicht ). „21 Tage und Nächte darin war das Tarif“ sagte ich ihm. „Hätte ich das durchge-standen? – fragte er noch.
„Wolf, ich brauche Deine Stimme und Unterstützung, dass der Tigerkäfig aus Cottbus aus dem Keller der Knabes Gedenkstätte endlich nach Cottbus zurück geführt wird. „Ich habe ihn dort am 14.10.2016 entdeckt…“ Siegmar Faust mischte sich in das Gespräch ein.
„Wir bemühen uns schon um die Rückführung.“ „Aber erst nach dem ich meine Entdeck-ung der Leiterin Wähling am gleichen Tag mitgeteilt hatte. Sie hatte keine Ahnung von der Existenz eines Tigerläfigs aus Cottbus in Knabes Keller.“ ( Sie Rief gleich nach dem Telefonat in HSH an und wurde schroff abgewiesen). „Das ist Quatsch !“ log Siegmar Faust dazwischen. „Mir ist das bekannt seit 2012…“ – „Und warum ist der Tigerkäfig immer noch im Keller bei Knabe?“ – Es kam keine Antwort.
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Was treibt diesen „sturen Helden“ (Biermann) in die Arme der AfD? Oder den Unter-nehmer Werner Molik, der 1977 für anderthalb Jahre als politischer Häftling in Cottbus eingesperrt wurde? Weshalb unterstützt Angelika Barbe, die Mitgründerin der Ost-SPD, Pegida?
Warum driftet der Umweltaktivist Michael Beleites nach rechts ab? Und wes-halb ist der frühere Bürgerrechtler und heutige CDU-Politiker Arnold Vaatz zum Dissiden-ten in seiner eigenen Partei geworden?
„Es gibt eben keine Garantie, dass man in seinem Leben immer auf der richtigen Seite steht“, sagt Marianne Birthler, die in den Achtzigerjahren eine wichtige Rolle in der DDR-Friedensbewegung gespielt hat. Die langjährige Stasi-Beauftragte befürchtet, dass jetzt der letzte Heldenmythos der Ostdeutschen beschädigt werden könnte, der Widerstand gegen das Unrechtsregime der DDR. Wer taugte dann noch zum Vorbild?
Selbst wenn es keine Umfragen gibt, spricht vieles dafür, dass die meisten früheren Dissi-denten und Bürgerrechtler mit der AfD und ihren Satellitenorganisationen nichts zu tun haben wollen. Doch eine Minderheit fühlt sich von den Rechten angezogen.
Wer diese Menschen besucht, erfährt vieles über den seelischen Zustand des Landes. Und den seiner Helden. ( Welche Helden denn!?*)
Die Wutbürger
Sächsisch ist ein Dialekt, der leicht in die Irre führt. Wenn Siegmar Faust Geschichten erzählt, kehrt in seinem Wohnzimmer nach wenigen Minuten der tiefe weihnachtliche Friede eines frisch verschneiten Tannenwaldes ein. Da sitzt ein freundlich lächelnder Märchenonkel mit eisgrauem Vollbart, der Sächsisch in der denkbar mildesten Variante spricht. Bei ihm ist es nicht mehr als eine Andeutung, zart vernuschelt die Vokale; und Konsonanten, denen jede Härte fehlt. Kann so ein Mensch böse werden?
Neulich hat er sich an seinen Computer gesetzt. Es ging nicht anders, die Wut musste raus. Wenn Faust aufgebracht ist, merkt man es nicht gleich. Die Stimme und der Dialekt verän-dern sich kaum, sein Mund scheint immer noch zu lächeln, aber die Augen werden dunkel, und seine Stirn beginnt zu glänzen.
„Ich muss mich schreibend wehren gegen den schreienden Unsinn dieser Zeit„, hämm-erte er in die Tasten, „also lasse ich meinen wütenden Gedanken freien Lauf, bevor es mit dieser Freiheit zu Ende geht oder mir eine Fatwa am Halse hängt.“
Die Suada wurde 130 Seiten lang. Faust brachte sie zum Copyshop und ließ sie zu einer kleinen Broschüre binden, die er jetzt manchmal Besuchern in die Hand drückt. Die Schrift ist eine Abrechnung mit allem, was Faust in diesen Tagen so durch den Kopf geht. Und das ist eine Menge.
Er wütet gegen den „ideologisch verdorbenen“ Zeitgeist, die „linken Gutmenschen“ und „falschfrommen Heuchler„, gegen die Teufel „mitten unter uns, sie besetzen das Kanzleramt“, die Melonenpartei („außen grün, innen rot mit braunen Kernen“), die an „unverschämter Dreistigkeit kaum zu überbietende Katrin Göring-Eckardt“, die „Europäische Union der sozialistischen Sowjetrepublik“, gegen Heiko Maas, Karl Marx und die „äußerst merkelwürdige ‚Mutti‘ der Nation, die alles tut, die Nation samt ihrer Kultur aufzulösen, aufzugeben zugunsten einer barbarischen Reli-gion, die sich Islam nennt„.
Das Manifest ist ein wütender Kreuzzug gegen den Islam, den „puren Hass“, der aus Mohammeds „angeblichen Prophezeiungen trieft“, und gegen den Koran, den Faust für eine „Bibel des Satans“ hält. „Wir sollten nur solche Moslems aufnehmen“, schreibt er, „die konvertieren oder sich vom Islam lossagen, also säkularisieren, wollen“.
Es ist eine Mischung aus berechtigter Angst und einer düsteren, paranoiden Parallelwelt, in der sich der Mann bewegt, der in den Siebzigerjahren im Zuchthaus Cottbus 400 Tage lang in Einzelhaft im berüchtigten „Tigerkäfig“ überlebte. ( Wo sind die Verfügungen des Verbindungsoffiziers die das alles belegen ?) In der ostdeutschen Dissiden-tenszene ist er dadurch zur Legende geworden.
Eine Verfügung über eine Disziplinarmaßnahme – EU – Arrest 21 Tage und Nächte sieht so aus, das ist für Aufklärer vom Schlage Wensierski´s.
Der Tigerkäfig aus Cottbus – auf dem Bild – wurde am 25.10.2017 nach groß-em Widerstand aus dem HSH nach Cottbus verlegt und soll bis August 2018 in die gleiche Zelle eingebaut werden aus der er rausgerissen wurde, in der laut Faust Siegmar 401 Tag verbracht haben soll. Offensichtlicvh geht ihm und dem Dieter Dombrowsli der Einbau des wahren Repressionswerkzeugs am Afrter vorbei. Der Einbau und das Verputzen ist ein Tag Arbeit für einen Maurermeister und einen Gesellen?
Faust hatte 13 Ausgaben der illegalen Häftlingszeitung „Armes Deutschland“ verbrei-tet, die er vom ersten bis zum letzten Buchstaben mit der Hand schrieb. Manchmal auf Klopapier, manchmal auf Zetteln, die ihm Kriminelle in die Zelle schmuggelten. Erst als Amnesty International ihn 1976 zum „Gefangenen des Monats“ ausrief, wurde er von der Bundesrepublik freigekauft.
Die Wut ist ihm und anderen DDR-Häftlingen geblieben. Der junge Diplom-Ökonom Wer-ner Molik wurde im September 1977 von der Stasi abgeholt. Die SED hatte ihm wegen unverhohlener Systemkritik die Promotion aberkennen lassen und ihn mit Berufsverbot belegt. Als der SPIEGEL über seinen Fall berichtete, wurde Molik wegen „Drucks auf die staatlichen Organe“ zu anderthalb Jahren Haft verurteilt.
Auch Molik saß in Cottbus, und auch er wurde freigekauft. In Düsseldorf machte er Karriere bei einer Bank. Nach dem Mauerfall zog es ihn zurück in den Osten. Im Seebad Heringsdorf auf Usedom kaufte er ein altes Hotel. Molik sympathisierte mit den Sozial-demokraten, er war im CDU-Wirtschaftsrat, inzwischen unterstützt er die AfD.
Wer Molik anruft, kann erleben, dass er nur flüsternd antwortet. „Ich bin auf Jagd“, haucht er dann in sein Handy. Es geht ihm gut. Neulich war er mit der ganzen Familie in Namibia, in Vorpommern hat er sich Ackerflächen gekauft und eine Herde Angusrinder. „Man könnte es Ängstlichkeit nennen oder Vorsicht“, sagt er, „aber in Notzeiten kann ich mich immer noch selbst ernähren. Ein schönes Gefühl.“
Molik ist ein angenehmer, kultivierter Gesprächspartner. Man kann wunderbar in seinem gepflegten, holzgetäfelten Hotelrestaurant sitzen, Kaffee trinken und über Safaris plaudern. Bevor man Zeuge einer merkwürdigen Verwandlung wird. Geht es um Politik, schießt Moliks Blutdruck nach oben, sein Gesicht rötet sich, auf seiner Stirn bilden sich Schweißperlen.
Ist er Wutbürger, fühlt sich Molik von allen Seiten bedroht. Von den Leuten, die aus Polen über die offene Grenze kommen und sein Auto klauen. Von den vielen Ausländern, die ihm das Gefühl vermitteln, nicht mehr in Deutschland zu leben. Von den Grünen, die es geschafft haben, Union und SPD in grüne Klone zu verwandeln.
Von der Europäischen Zentralbank, die Deutschlands Kassen ausplündert. Von den Eliten, die antideutsch sind und das, was Deutschland ausmacht, abwickeln wollen. Von den Medien, die gleichgeschaltet sind wie in der DDR. Nur dass man damals zum Westfernsehen umschalten konnte.
Der Himmel ist blau, die Ostsee schimmert durch das Wäldchen vor seinem Hotel, der Kellner serviert Hirschgulasch, und Molik sieht schwarz. Wo er auch hinblickt. Die Frage ist, ob ihn seine Haft traumatisiert hat. „Ich glaube nicht“, sagt er, „aber vielleicht wissen wir besser als andere, wie fragil das Leben ist. Dass es jederzeit anders kommen kann.“
Die Kämpferin
Bei Angelika Barbe, in ihrem Häuschen in Berlin-Rudow, gibt es schon morgens Kaffee und Kuchen. Lecker Christstollen aus Dresden, selbst gebacken von einer „lieben Freundin“ von Pegida.
Barbe muss man sich als temperamentvolle, fröhliche Frau vorstellen, für die Lachen und Empörung kein Widerspruch sind. Sie lacht häufig, und sie empört sich noch häufiger. Ihre Welt ist solide aufgeteilt in Freunde und Gegner, mit einer eindeutigen Präferenz für die zweite Kategorie. Barbe verliert ihre Feinde keine Sekunde lang aus dem Blick, und wenn der Nachschub mal ausdünnt, findet sie problemlos neue.
Ganz oben auf ihrer persönlichen Liste der Verachtung steht seit Jahrzehnten die SED. In den Achtzigerjahren kämpfte sie als Bürgerrechtlerin in der kirchlichen Friedens-bewegung gegen die Kommunisten. Im operativen Vorgang „Hysterie“ wurde sie bis zum Mauerfall von der Stasi überwacht.
Mag sein, dass die DDR schon lange untergegangen ist, aber für Barbe wird der Kampf gegen den kommunistische Kraken nie beendet sein. Wer behauptet, die SED und ihre Nachfolger spielten heute keine Rolle mehr, sieht nicht aufmerksam genug hin, glaubt sie. Sie muss nur an die Linkenpolitikerin Petra Pau denken, dann kommt ihr alles wieder hoch. ( ehemalige Pi-Lei * )
Barbe gehörte zu den Mitgründern der Sozialdemokratischen Partei in der DDR, 1990 zog sie als SPD-Abgeordnete in den ersten gesamtdeutschen Bundestag ein. Wie sie damals als Ostdeutsche behandelt wurde, hat sie den Genossen bis heute nicht verzie-hen. Die Arroganz, mit der die stellvertretende Fraktionschefin Herta Däubler-Gmelin sie vorgeladen habe, die Beine hochgelegt: „Angelika, dir ist doch hoffentlich klar, dass du nur durch Zufall im Bundestag bist.“
Aus Protest gegen die Zusammenarbeit der Sozialdemokraten mit der SED-Nachfolgepar-tei PDS wechselte Barbe 1996 in die CDU. Dort ist sie immer noch, selbst wenn sie inzwi-schen für die AfD Wahlkampf macht und bei Pegida mitläuft. Das hängt mit Hauptfeind Nummer zwei zusammen, dem Islam.
„Es ist mir unerklärlich, dass die CDU den rassistischen ‚islamischen Faschismus‘ nicht bekämpft, sondern hofiert“, schrieb sie im Februar in einem offenen Brief an ihre Partei, in dem sie ankündigte, sie sei nicht mehr bereit, „meine Glaubwürdigkeit und meinen guten Namen für die CDU im Wahlkampf herzugeben“.
Und so hat sich Barbe am Ende ihrer politischen Karriere in die gleiche Rolle manövriert, die sie am Anfang hatte. Sie ist wieder Außenseiterin. Eine einsame Kämpferin gegen eine Übermacht von Feinden. Damit ist alles gut. Denn alles ist wie immer.
Der Analytiker
Hans-Joachim Maaz hat sich einen Namen gemacht, als er 1990 ein ganzes Volk auf die Couch legte. „Der Gefühlsstau“, hieß der Bestseller des Psychiaters aus Halle, der „ein Psychogramm der DDR“ vorlegen wollte. Das Buch hat sein Leben verändert. Seit 27 Jahren muss Maaz nun immer ran, wenn die Ostdeutschen mal wieder nicht so ticken, wie sie sollen. Niemand erklärt die Ossiseele so eindrücklich wie der Therapeut aus Halle-Dölau.
Seit einiger Zeit hat er wieder Konjunktur. Der Ostdeutsche läuft massenweise zur AfD über, Herr Doktor Maaz, bitte sagen Sie uns, warum. Weil die Wirkung des Opiums nachlässt, antwortet er dann. Die Menschen haben Angst vor Veränderungen, vor Klima-wandel, Digitalisierung und Migration.
Angela Merkel hat lange Zeit den Anschein erweckt, sie habe alles im Griff, obwohl sie in Wahrheit viele Fehler machte. Das war wie eine Droge, doch im Osten reicht die Dosis nicht. Das Opium wirkt nicht mehr, weil die Ostdeut-schen schon so viele Krisen hinter sich haben. Wende, Arbeitslosigkeit, Verei-nigung, Freiheit, Enttäuschung, Ernüchterung.
Wegen ihrer DDR-Erfahrung blicken sie skeptischer und kritischer auf die Obrigkeit, und sie sind stärker beunruhigt durch Veränderungen. „Ich finde den Protest gut“, sagt Maaz, „unabhängig von der AfD oder Pegida.“ Warum? „Weil sich die Menschen etwas trauen.“ Bleibt der Dissident. Er ist ein Sonderfall. In einer Diktatur versuchen die meisten Men-schen, dem Druck auszuweichen, und passen sich an. Eine normale Reaktion. Sie wer-den nicht kämpfen, denn das kann lebensgefährlich sein.
Warum also wird der Dissident zum Dissidenten? Weil er persönliche Probleme hat, wie so viele Menschen, die etwas Besonderes sein wollen. Gott sei Dank, könnte man sagen, sonst gäbe es keine Helden. Ohne eine erhebliche Störung hätte ein Stauffenberg wohl nie sein Hitler-Attentat gewagt, glaubt Maaz.
Wer ein Unrechtsregime herausfordert, müsse ein Narzisst sein und an Selbstunsicherheit leiden als Folge einer frühen Beziehungsstörung, meist zur Mutter. Er denkt: Ich bin nicht gut genug, ich bin nicht wichtig, ich bin nicht liebenswert.
„Der Narzisst ist ein Geplagter, der beweisen will, dass er etwas Besonderes ist“, sagt Maaz, „ich zeig’s euch. Das ist der Stachel, der ihn antreibt.“ Deshalb quält sich der Leistungssportler jeden Tag beim Training, um eine hundertstel Sekunde schneller zu sein. Und deshalb kämpft der Dissident unter großer Gefahr gegen das über-mächtige Böse.
Er sucht sich seine Feinde, und je höher sie sind, desto wichtiger wird er. Es klingt absurd, aber in der DDR hatten es Andersdenkende besonders leicht. Mit einem Satz oder einem Witz konnten sie die ganze Republik erschüttern. Und im Gefängnis landen. „Im Gegen-satz zu heute“, sagt Maaz, „da darf man fast alles sagen. Außer, dass man die AfD wählt.“
1989 bricht die DDR zusammen, der Dissident ist nun ein Held, weil er mutig berechtigte Kritik angesprochen hat. Seine innere Problematik aber, die Selbstunsicherheit, der Stach-el, der ihn antreibt, sind geblieben. „Das Risiko ist groß, dass er wieder zum Dissidenten wird“, sagt Maaz, „er kann nicht anders. Es ist seine Persönlichkeitsstruktur.“
So wird er sich, wenn ihn sein Stachel nicht in eine andere Richtung treibt, ein neues Feindbild suchen. Es muss groß genug sein, damit sein persönliches Problem überdeckt wird. Und was könnte größer sein als eine Regierung und eine Kanzlerin?
Der Verstoßene
Als Michael Beleites im Frühjahr die Burschenschaft Normannia googelt, gehen alle Warn-lampen an. Die Studentenverbindung aus Jena wird seit Jahren vom Thüringer Verfass-ungsschutz beobachtet. Es gebe Erkenntnisse über eine „personelle Verzahnung mit dem rechtsextremistischen Spektrum durch Mitgliedschaft aktiver Rechtsextremisten“, heißt es in einer Antwort des Erfurter Innenministeriums auf eine parlamentarische Anfrage der AfD.
Beleites ist besorgt. Die Jenaer haben ihn als Redner für ihr Seminar „Kapitalismus – Niedergang und Ausblick“ verpflichtet. Und jetzt zeigt Google an, dass die Normannia ein Zentrum der Thüringer Neonazis ist. Was soll er machen? Absagen?
Wer mit Beleites ein paar Stunden lang in seinem Lieblingscafé im Dresdner Hauptbahn-hof zusammensitzt, wer ihn dabei beobachtet, wie er langsam und bedächtig einen druck-reifen Satz nach dem anderen formuliert, ahnt, wie diese Geschichte ausgehen wird.
Für ihn hat sich die Welt der Bürgerrechtler in zwei Gruppen geteilt. Die einen sind drin-nen, sie arbeiten im öffentlichen Dienst, bei den Gedenkstätten, in den Landeszentralen für politische Bildung oder leben als Selbstständige von öffentlichen Aufträgen. Wer drinnen ist, gehört zum System, es bestimmt sein Denken, er verteidigt es.
Die anderen sind draußen. Sie haben es nicht geschafft, hangeln sich von Auftrag zu Auf-trag, von Projekt zu Projekt und krebsen vor sich hin. Wer draußen ist, blickt anders auf die Welt, und Beleites ist draußen.
Der frühere Umweltaktivist hat 1988 mit seiner Dokumentation „Pechblende“ die katas-trophalen Folgen des Uranbergbaus in der DDR öffentlich gemacht und wurde von der Stasi verfolgt. Jetzt betreibt er in einem Dörfchen bei Dresden einen Kräuterhof und ver-sucht, sich mit Artikeln und Vorträgen über Wasser zu halten.
Beleites blickt sich um, und was er sieht, erinnert ihn an die DDR. Vor einiger Zeit hat er in einem Aufsatz die Dresdner Pegida-Märsche mit der friedlichen Revolution von 1989 verglichen und „erstaunlich viele Parallelen“ gefunden: „Es haben sich Probleme an-gestaut, deren ganze Dimension mit den Sprachregelungen des herrschenden politischen Systems nicht ausgesprochen werden kann.“ Wer die Probleme öffentlich artikuliere, werde von einer „gleichgeschalteten – oder sich so gebenden – Presse als Nazi diffamiert“.
Der Rückzug auf die eigene Scholle hat Beleites nicht gut getan. Früher beriet er Green-peace und die Grünen, jetzt verstrickt er sich immer weiter in seiner rechten Gedanken-welt. Nach seinem Pegida-Text haben sich alte Freunde von ihm distanziert.
„Ich muss sagen, dass ich etwas irritiert bin über das, was Du da geschrieben hast“, mailte ihm vor einigen Monaten die frühere Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe, die ihn zu einer Veranstaltung der Brandenburger Grünen einladen wollte. Sie lege die Planung jetzt „erst mal auf Eis. Ich hoffe, Du verstehst das. Tut mir leid“.
Doch Beleites versteht die Absagen nicht. Sie beweisen ihm, dass 27 Jahre nach dem Ende der DDR wieder ein beklemmendes „Klima der Angst“ herrscht. Offenkundiger Schwachsinn werde einfach hingenommen, und wer die „biologische Tat-sache der geografischen Rassenvielfalt des Menschen als bewahrungswürdiges Erbe“ betrachte, „reflexartig“ als Rassist gebrandmarkt.
Seine alten Freunde wenden sich von ihm ab, und die neuen stehen schon bereit. Der AfD-Vordenker Götz Kubitschek bittet ihn in sein „Institut für Staatspolitik“ nach Schnellroda. Beleites sagt Ja. In seinem Vortrag bescheinigt er Kubitscheks Truppe, für ihn sei noch lange keiner rechts, nur weil er kein Linker sei. Riesenbeifall.
Inzwischen hat er zu viele rote Ampeln überfahren. Und so endet die Geschichte, wie sie wohl enden muss. Als die Einladung der „Normannia zu Jena“ eintrifft, ist er besorgt, er denkt nach, er zögert. Dann sagt er zu.
Der Dissident
Als die Aufregung um den Rinderwahnsinn Anfang der 2000er-Jahre ihrem Höhepunkt entgegenging, saß der Dresdner CDU-Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz mit einigen Kollegen aus Westdeutschland in Berlin beim teuren Italiener. Alle bestellten Fisch, Vaatz Rindfleisch.
Sie blickten ihn an, als hätte er den Verstand verloren. Später, als sie längst wieder selbst Rinderfilet auf dem Teller hatten, entschuldigte sich niemand bei ihm, dass sie ihn damals für einen Selbstmörder gehalten hatten. Vaatz hält die Kollegen seitdem für weitgehend verblödet.
Es hat sein Bild über die Westler abgerundet. Vaatz kann den Westen nicht ernst nehmen. Als Prognoseinstanz hat er sich bis auf die Knochen blamiert, glaubt er. So wie ein Arzt, dessen ganze Karriere mit Kunstfehlern gepflastert ist. Die Hysterie über das Waldsterben, die falschen Prognosen zur Wiedervereinigung, das Gesalbadere der 68er. „Wir alle sind mit dem Westen fertig“, sagt er, „es gibt den Westen für uns nicht mehr.“
Er ist jetzt 62, er könnte jederzeit aufhören, seine Mission ist gescheitert, doch nun ist er wiedergewählt worden. Warum, weiß er nicht genau, wo er doch längst den Glauben verloren hat, dass er in seiner Partei noch etwas erreichen kann. Seit 20 Jahren sagt er Angela Merkel, was er für richtig hält, und seit 20 Jahren ignoriert sie ihn.
Wahrscheinlich müsste Vaatz austreten, aber er ist kein Verräter, und so bleibt er in der CDU. Sie ist immer weiter nach links gewandert und er immer weiter nach rechts. Jetzt ist er Dissident in seiner eigenen Partei. Es ist eine Rolle, die er kennt.
Nachdem das sozialistische Polen im Dezember 1981 das Kriegsrecht verhängt hatte, verweigerte Vaatz eine Wehrübung. Er wurde zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt und zur Zwangsarbeit in ein Stahlwerk geschickt. In der DDR war seine Karriere als Mathematiker damit beendet.
Als er 50 wurde, hielt sein Vater eine Rede auf ihn. „1989 hatten wir die Wahl zwischen Zweistaatlichkeit und Wiedervereinigung“, sagte er, „das war die Wahl zwischen Gefängnis und Irrenhaus. Du, mein Lieber, hast dich sehr für die zweite Variante starkgemacht. Das war richtig so, denn in einem Irrenhaus genießt man ganz andere Freiheiten als im Knast.“
Doch wer den ganzen Tag im Irrenhaus arbeitet, muss befürchten, dass er irgendwann totgeschlagen wird, wenn er die falsche Mütze aufhat. Es ist ein kalter Winterabend, Vaatz sitzt im Halbdunkel seines Berliner Abgeordnetenbüros und haut vor Erregung auf den Kaffeetisch.
Es wird nicht die geringste politische Korrektur geben, glaubt er. Die Medien sind sich ihrer Sache so sicher, dass sie jeden Abweichler bis auf die Knochen abnagen werden, als sei er im Amazonas in ein Piranha-Nest gefallen.
„Es ist ein erbarmungsloser Konformitätsdruck, der von einer postreligiösen Gesellschaft ausgeht, die ihren arbeitslos gewordenen religiösen Sensus ausleben will“, schrieb Vaatz schon vor einigen Jahren in einem Aufsatz über die Energiewende.
„Dieser Konformitätsdruck hat eine Gleichschaltung der Gesellschaft verursacht, die zwar mit den Formen von Gleichschaltung, wie wir dies aus der Geschichte der europäischen Diktaturen kennen, nicht identisch ist, jedoch ganz ähnliche Züge aufweist“, heißt es da, „die Strafe für Widerspruch ist heute allerdings (zum Glück noch nicht!) Haft oder Liquidation, sondern nur die Verbannung aus der medialen Relevanzzone.“
Vaatz ist ein hochintelligenter, geistreicher Gesprächspartner, aber wer sein Büro nach zwei Stunden verlässt, kämpft gegen eine tiefe Wehmut. Es ist das gleiche Gefühl, das sich auch nach den Besuchen bei den anderen Dissidenten einstellt. Das also ist aus den Helden von einst geworden.
Wolf Biermann hat manchmal sogar ein gewisses Verständnis für die früheren Weggefährten. „Ich verstehe doch, was die ärgert“, sagt er, „und sie haben in manchen Dingen recht.“ Die Gründe leuchten ein, die Kritik ist zulässig, aber die Reaktion der früheren Bürgerrechtler ist überzogen. Biermann hält sie für „hysterisch“.
„Es gibt im Westen kein Recht auf dauerhaften Erfolg“, sagt Lutz Rathenow, einer der bekanntesten DDR-Bürgerrechtler. Er hat mit den Rechten nichts am Hut, aber er beobachtet aufmerksam, was aus seinen Mitstreitern geworden ist – eine „Missmutsgemeinschaft“.
Rathenow plädiert dafür, sie nicht auszugrenzen. „Man muss aufpassen, dem Abgelehnten durch Ablehnung nicht Identität zu verleihen“, sagt der Lyriker und drückt seinem Besucher zum Abschied ein Gedicht in die Hand. Es heißt: „Empörung“.
„Ein Mensch schleicht rennt läuft um ein Haus,/ er will nur eins – möglichst rasch hinein, hinein./ Und ist er drin, will er nur noch: heraus, heraus./ Ich bin wirklich ein Opfer, sagt der Mann,/ schrecklich, dass ich ohne Luft nicht atmen kann./ Verflixte Erde, die mich sonst nicht leben lässt./ Und ihre Schwerkraft hält mich zudem fest.“