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Unrecht nie gesühnt : Historiker zieht Bilanz: Vielen DDR-Funktionären geht es heute besser als ihren Opfern

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Original ist aus dem Jahre 1985 HKH Leipzig Mezsdorf

25 Jahre nachdem die Justiz Anklage gegen Erich Honecker erhob, ist die juristische Aufarbeitung des DDR-Unrechts noch immer für viele SED-Opfer ein großer Skandal. Wie viele Täter wurden verurteilt, wer kam davon?

Am 15. Mai 1992, vor 25 Jahren, wurde gegen den ehemaligen DDR-Staats- und ParteichefErich Honecker Anklage erhoben, weil er zwischen 1961 und 1989 am Totschlag von 68 Personen beteiligt gewesen sein soll. Honecker war nach seinem Sturz im Herbst 1989 zunächst nach Moskau geflohen, schließlich aber nach Deutschland zurückgekehrt.

Der 79-Jährige war schwer an Krebs erkrankt. Er nutzte die rechtlichen Möglichkeiten, die ihm das bundesdeutsche Recht gab und zog bis vor das Berliner Landesverfassungsgericht, um eine Niederschlagung des Verfahrens gegen ihn wegen seiner schweren Krankheit zu erwirken. Das Gericht gab ihm Recht – eine bis heute umstrittene Entscheidung.

Die Begründung lautete nicht etwa, dass Honecker aufgrund seines Gesundheitszustandes verhandlungsunfähig sei. Das Gericht ging davon, dass Honecker das Ende des Verfahrens nicht erleben würde. Tatsächlich starb er am 29. Mai 1994. Viele Opfer des DDR-Unrechtsregimes empörte, dass ausgerechnet der langjährige Spitzenmann des untergegangenen Staates ohne Strafe davonkommen sollte. „Das Gericht behandelte Honecker damit besser als andere Menschen. Das Urteil war eindeutig ein politischer Akt“, sagt der Leiter der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe.

Sehr geringe Verurteilungszahlen

Schon die Art, wie Honecker einer Bestrafung entging, zeigt, dass der häufig nach der Wiedervereinigung erhobene Vorwurf einer angeblichen „Siegerjustiz“ mit der Realität nichts zu tun hatte. Das trifft auch aus zwei Gründen nicht zu:

Erstens wurde mit der Aufarbeitung des Unrechts bereits nach dem Sturz Honeckers im Dezember 1989 von der Generalstaatsanwaltschaft der DDRselbst begonnen.

Zweitens zeigen die sehr geringen Zahlen der Verurteilungen, wie absurd der Vorwurf war. Dass er für gewöhnlich von ehemaligen Stasi-Mitarbeitern und Funktionären erhoben wurde, die sich fälschlicherweise als Stimme der Ostdeutschen ausgaben, sei nur am Rande erwähnt.

Ministerium wurde nur umbenannt

In der kurzen Zeit zwischen dem Fall der Mauer und dem 3. Oktober 1990, dem Tag der Wiedervereinigung, ging es in den juristischen Verfahren um die Wahlfälschungen bei der Kommunalwahl im Mai 1989, die für große Empörung in der DDR gesorgt hatten, sowie um Amtsmissbrauch und Korruption. Federführend für den „Maßnahmeplan im Ermittlungsverfahren gegen Erich Honecker“ war das „Amt für Nationale Sicherheit“ (AfNS).

Dahinter steckte nichts anderes als das umbenannte Ministerium für Staatssicherheit– umso absurder wirkt es, dass der Vorwurf der Siegerjustiz bis heute in erster Linie von ehemaligen Stasi-Mitarbeitern erhoben wird. Zugleich wirkte die führende Rolle des AfNS auch wie ein letzter stalinistischer Reflex – denn es war im Stalinismus normal, dass die alten Täter durch neue Täter verfolgt und beseitigt wurden.

Nur 40 Täter mussten ins Gefängnis

Der zweite Grund für die Absurdität des „Siegerjustiz“-Vorwurfs sind die Zahlen der Verurteilten. Insgesamt wurde gegen etwa 100.000 Beschuldigte in rund 75.000 Verfahren ermittelt. Es wurden aber nur gegen 1737 Personen in 1021 Verfahren tatsächlich Anklage erhoben. Gut die Hälfte dieser Verfahren endete nach Angaben des Forschungsprojektes „Strafjustiz und DDR-Unrecht“ mit einer Verurteilung, von denen wiederum ein sehr großer Teil mit einer Bewährungs- oder Geldstrafe endete.

Nur in 40 Fällen mussten die Verurteilten ins Gefängnis – viele davon hatten der Staatsführung oder der SED-Spitze angehört. „Es war damals der politische common sense, Milde gegen die ehemaligen Täter walten zu lassen“, kritisiert Knabe. Am Willen der Staatsanwaltschaften habe das nicht gelegen. Die Verjährungsfristen sind in der Bundesrepublik sehr kurz angesetzt, zugleich waren die Verfolgungsbehörden personell schlecht ausgestattet, was die Ermittlungsdauer oft sehr in die Länge gezogen habe. „Das alles wirkte wie eine kalte Amnestie durch die Hintertür“, sagt Knabe.

Grenzsoldaten beriefen sich auf Schießbefehl

Die Justiz im wiedervereinigten Deutschlandstand auch vor dem Problem, dass sie grundsätzlich das Recht des DDR-Unrechtsstaates anwenden musste. Nur Taten, die dort rechtswidrig waren, konnten nach der Wiedervereinigung verfolgt werden. Daher konnten Aktivitäten der Stasi und ihrer Inoffiziellen Mitarbeiter nicht geahndet werde, denn Inlandsspionage war nach DDR-Recht nicht verboten.

Die Fälle von Rechtsbeugung, die den mit Abstand größten Anteil an den Verfahren hatten, waren am schwersten zu begründen, weshalb die Zahl der Verurteilten äußerst gering war. Das DDR-Recht konnte auch die Grenzsoldaten schützen, die an der Mauer Flüchtlinge erschossen hatte. Denn diese konnten sich auf den Schießbefehl berufen, an dessen Existenz trotz gegenseitiger Behauptungen schon lange keine Zweifel mehr bestehen. Allerdings waren die Taten nicht ausdrücklich von der DDR-Strafbarkeit ausgenommen. Am Ende wurden nur 132 Beschuldigte zu Freiheits- oder Bewährungsstrafen verurteilt.

Darunter waren nur 80 Grenzsoldaten, denn für die Justiz waren die Hauptverantwortlichen die Täter hinter den Tätern – also die DDR-Spitze von Honecker abwärts. Während das Verfahren gegen Honecker eingestellt wurde, wurden DDR-Verteidigungsminister Heinz Keßlerzu siebeneinhalb, sein Stellvertreter Fritz Streletz und der Sekretär des SED-Grenzbezirks Suhl, Hans Albrecht, zu jeweils fünf Jahren verurteilt.

Willi Stoph, langjähriger Vorsitzender des Ministerrates der DDR, hatte das gleiche Glück wie Honecker – sein Verfahren wurde wegen Verhandlungsunfähigkeit eingestellt. Im Prozess gegen Mitglieder des Politbüros der SED wurden wegen Beihilfe zum Totschlag Egon Krenz zu sechseinhalb, Günter Schabowski und Günther Kleiber zu je drei Jahren Haft verurteilt.

Die Rolle von Stasi-Chef Mielke blieb ungesühnt

Eine der schlimmsten Vertreter des SED-Unrechtsstaates, wurde nie wegen seiner Untaten gegen DDR-Bürgerverurteilt: Stasi-Chef Erich Mielke. Denn auch er spürte die Milde der rechtstaatlichen Justiz und wurde wegen angeblicher Verhandlungsunfähigkeit in diesem Punkt nicht mehr verfolgt.

Die Geschichte hatte aber für Mielke eine besondere Ironie parat – er wurde wegen eines Mordes an zwei Berliner Polizistenim Jahr 1931 verurteilt und musste mehrere Jahre im Gefängnis verbringen. Pech für Mielke: Mord verjährt nach deutschem Recht nicht – auch, wenn die Tat Jahrzehnte zurückliegt.

Bürgerrechtlerin: „Wir hofften auf Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat“

Für viele Opfer des SED-Unrechtsregimes blieb die strafrechtliche Aufarbeitung sehr unbefriedigend. Stellvertretend für sie hatte die 2010 verstorbene Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley schon kurz nach der Wende frustriert gesagt: „Wir hofften auf Gerechtigkeit und bekamen den Rechtstaat.“

Stasi-Experte Hubertus Knabe, der täglich mit Opfern des SED-Unrechts zu tun hat, kann die Klage gut nachvollziehen. „Viele Verantwortliche für die DDR-Diktatur leben heute in besseren Verhältnissen als diese Opfer, die mit kleinen Opferrenten abgespeist wurden“. Von einer „Siegerjustiz“ könne überhaupt keine Rede sein. Ganz im Gegenteil: „Die strafrechtliche Aufarbeitung des SED-Unrechts ist gescheitert“.

Im Video: 1971: Honecker an der Macht

ZDF EnterprisesHonecker an der Macht


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